Soirée musicale
Camille Saint-Saens

(1835 - 1921)


Am 24. November 2005 fand im "Institut francais munich" zum Gedenken an den 170. Geburtstag des französichen Komponisten Camille Saint-Saens ein Konzert statt. Schüler des Pestalozzi-Gymnasiums und Studenten der Hochschule für Musik, Theater und Tanz präsentierten ein reichhaltiges Programm unter der Leitung von Mireille Schmich-Faurie, Klavierlehrerin am Pestalozzi-Gymnasium. Gunther  Braam, Studienrat für Mathematik und Physik am Pestalozzi-Gymnasium und passionierter Kenner der französischen Musikgeschichte - bekannt durch seine Veröffentlichungen über Hector Berlioz - führte (zweisprachig) durch den Abend.

Musikalisches Programm


Rede von Herrn Gunther Braam (deutsch)


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

der Komponist, dem unsere heutige Soirée musicale gewidmet ist, galt in der Zeit zwischen 1870 und 1900 neben Jules Massenet als der führende zeitgenössische aktive Komponist Frankreichs – wenngleich er sich in seinem Heimatland immer wieder einmal heftiger Ablehnung ausgesetzt sah, die sich vereinzelt sogar bis zum Hass steigerte.

Charles-Camille Saint-Saëns, geboren 1835 in Paris, komponierte bereits mit 4 Jahren einen Galopp für Klavier, trat 1840, mit 5, erstmals öffentlich auf, mit 13 begann er das Studium am Pariser Conservatoire. Er bewarb sich 1852, im Alter von 17 Jahren, das erste Mal um den Rompreis, und 1864, mit 29 Jahren ein zweites und letztes Mal, gerade noch vor Überschreiten der Altersgrenze – allerdings erfolglos. 1868 wurde er chevalier, also Ritter, der Ehrenlegion, 1881, mit noch nicht 46 Jahren, wurde er in die Akademie der Schönen Künste des Institut gewählt, 1884 zum officier der Ehrenlegion befördert, 1894 zum commandeur, 1900, also rechtzeitig zum 65. Geburtstag, zu deren grand officier ernannt, und 1913 schließlich, mit 78, erklomm er den höchsten Grad, das grand croix der Ehrenlegion, dass vor ihm nur vier andere Komponisten erhalten hatten: Charles Gounod, Ambroise Thomas, Ernest Reyer und Giuseppe Verdi. 1921, in seinem Todesjahr, gab er sein letztes Konzert. Der 86-Jährige konnte somit auf eine 81-jährige Bühnenkarriere zurückblicken, von der sich zurückzuziehen er bereits mehrfach zuvor versucht hatte. Bereits 1890, zu seinem 55. Geburtstag, wurde in der nordfranzösischen Stadt Dieppe ein ihm gewidmetes Museum eröffnet, das noch heute besteht.

Eigentlich müsste Saint-Saëns, Jahrgang 1835, zusammen mit Georges Bizet, Jahrgang 1838, und Jules Massenet, Jahrgang 1842, als eine Trias von Ausnahmeerscheinungen in der französischen Musikgeschichte eingegangen sein, wäre Georges Bizet nicht so viel zu früh bereits 1875 verstorben, und wären sich Saint-Saëns und Massenet nicht oftmals in herzlicher gegenseitiger künstlerischer Abneigung verbunden gewesen. Es war ein mit allem Esprit ausgetragener Zweikampf, der in folgender Anekdote vollständig aufgehoben ist:

Die dritte französische Republik konnte ihren Künstlern nicht all zu viele Ehrenbezeugungen bieten. Die angesehenste (und die durch alle Staatsformen, die in Frankreich jemals Fuß gefasst hatten, bis auf den heutigen Tag beibehaltene) war die Aufnahme in die Akademie der Schönen Künste, wo in der 5. Sektion einst sechs (heute acht) Sitze den Komponisten vorbehalten waren. Massenet hatte hier die Nase vorn: Als er erfuhr, dass er bei der Wahl Saint-Saëns mit einer Mehrheit von 5 Stimmen besiegt hatte, telegraphierte Massenet diesem umgehend, dabei sich grandseigneurhaft als nobler Sieger gebend: „Das Institut hat mit meiner Wahl eine große Ungerechtigkeit gegen Sie begangen.“, worauf Saint-Saëns zurücktelegraphierte: „Genau das denke ich auch!“.

Gleichwohl wirkten beide Komponisten gemeinsam in der 1871 als Reaktion auf die politische wie durch den aufkommenden Wagner-Kultus auch kulturelle Dominanz  germanophiler Kräfte gegründeten Société nationale de musique richtungsweisend und stilbildend für eine ganze Generation französischer Komponisten. Allerdings war Saint-Saëns nie als Professor am Conservatoire tätig, sondern nur von 1861 bis 1865, an der École Niedermeyer, wo Gabriel Fauré sein bedeutendster Schüler wurde.

Saint-Saëns könnte heuer seinen 170. Geburtstag feiern. Ob er daran aber seine Freude gehabt hätte? Er würde leider feststellen müssen, dass er kaum gespielt wird – und wenn doch, so immer ein enger, keineswegs repräsentativer Ausschnitt seines Schaffens. Um dies erlebbar zu machen: ein Gedankenspiel:

Stellen Sie sich einmal vor, Sie seien Architekt. Zu Ihren Glanzleistungen gehören einige Kirchen, Villen, das ein oder andere Rathaus und schließlich auch ein paar herrschaftliche Schlösser zwischen Loire und Cher. Kurz nach Ihrem Tod wenden Sie sich der Erde zu, um zu sehen, wie es um Ihr Gesamtwerk bestellt ist – und was müssen Sie feststellen? Alle Welt drängt sich in einem etwas abseitig gelegenen Winkel eines Ihrer Schlösser, um in einer zugegeben von Ihnen ausnehmend geschmackvoll entworfenen Scheune Kirmes zu feiern! 

Ein ähnliches Gefühl müsste Saint-Saëns haben, wenn er heute wiederkehrte:

Von seinen 13 Opern ist nur Samson et Dalila heute noch präsent geblieben, und diese wird dann auch schon mal ganz gerne als Oratorium aufgeführt! Nur eine seiner fünf Symphonien, die dritte, die so genannte Orgelsymphonie, hält sich wacker im CD-Repertoire, von live-Aufführungen ganz zu schweigen, dann noch je ein Klavier-, ein Violin- und ein Violoncellokonzert – und schließlich die Kirmes-Scheune, der berüchtigte Carnaval des animaux, der von seinem Autor niemals als etwas anderes denn als ein Faschingsscherz angesehen wurde. Folgerichtig verbot Saint-Saëns zu seinen Lebzeiten nach zwei Aufführungen jede weitere, sowie jegliche Publikation. Lediglich ein Stück des Carnaval gab er zur Veröffentlichung frei, und dieses bringen wir heute Abend auch zu Gehör. Aber davon später.

Warum ist Saint-Saëns heute eher ein weitgehend Unbekannter?

Als Saint-Saëns seine Karriere begann, war er ein Wunderkind zur Zeit des Königs Louis-Phillipe; als er starb, waren die Kompositionen Strawinskys in Paris bereits kein Skandal mehr! Dementsprechend hatten seine böswilligen Kritiker ein leichtes Spiel: Man warf Saint-Saëns schlicht vor, unzeitgemäß zu komponieren bzw. – nicht rechtzeitig genug gestorben zu sein. Dieser Vorwurf ist aus der Zeit heraus ebenso nachvollziehbar wie er uns heute ausgesprochen dumm erscheint. Er dürfte uns Heutige ebenso kalt lassen wie die Frage, in welchem Jahr genau Saint-Saëns gerade als Wagnerianer oder Anti-Wagnerianer verschrien war: Die Postmoderne erlöst uns gnädig von jeder Pflicht, Musikstücke auf ihre lebendige Verbindung mit den gerade aktuellen Strömungen ihrer Entstehungszeit abzuklopfen und die Werke dementsprechend abzuurteilen.

Das erste Stück unserer Soirée ist hierfür das beste Beispiel: Entstanden in Saint-Saëns’ Todesjahr, 1921, ist es für den epochegläubigen Musikologen ein vollkommen unerhörtes Stück: gänzlich unbeleckt von Debussys neuen Klangwelten! Strawinskys Sacre du printemps scheint in keinem einzigen seiner Takte auf! Der aufkommende Jazz ist in keiner Note auch nur ansatzweise aufgegriffen! Was soll man auf diese sachlich vollkommen richtigen, bitteren Wahrheiten erwidern? Vielleicht einfach: „Na und?

Einer der bevorzugten großen Dichter, dessen Werke von Saint-Saëns vertont wurden, war Victor Hugo. Zwischen 1851 und 1888 entstanden 15 Lieder nach dessen Gedichten. Darüber hinaus ließ sich Saint-Saëns für fünf größer besetzte weltliche Chorwerke von Hugo inspirieren. So entstanden 1850 Les Djinns, 1878 zwei Gedichte aus Hugos Sammlung L’Art d’être grand-père, 1879 die Kantate La Lyre et la harpe, 1889 gar eine Hymne à Victor Hugo und schließlich noch 1907 eine Hommage des enfants à Victor Hugo. Saint-Saëns bearbeitete auch einige der ursprünglich nur für Gesang und Klavier komponierten Lieder für Orchester. Zu diesen gehören die beiden folgenden, die Rêverie (Träumerei) und L’Enlèvement (Die Entführung), entstanden 1851 bzw. 1865. Der Rahmen dieses Abends legt allerdings die Aufführung in der Fassung mit Klavier nahe ...

Mit der Romantik rückte ein bis dahin eher der Volksmusik zugeordnetes Instrument in den Mittelpunkt des Interesses: die Harfe. Nachdem dieses schon in der Antike bekannte Instrument durch Erfindungen des Klavierbauers Erard bedeutend verbessert worden war und insbesondere ein Virtuose, der Brite Elias Parish-Alvars, gezeigt hat, welche Möglichkeiten in der Pedalharfe stecken, fand die Harfe vermehrt Verwendung, sowohl als Solo-, als auch als Orchesterinstrument. Saint-Saëns zollte diesem Instrument insbesondere mit zwei Kompositionen Tribut: mit der Fantaisie pour violon et harpe, op. 124, und mit der Fantaisie pour harpe, op. 95, die wir nun hören.

Im Laufe seiner langen Organisten- und Pianistenlaufbahn hat Saint-Saëns mit mehreren Stücken für Soloklavier bewiesen, dass er dieses Instrument wie die gängigen tradierten Formen perfekt beherrschte. Dreimal gab er Six Études heraus, in denen er die verschiedensten Formen präsentierte, 1877, 1899 und 1919. Aus der zweiten Sammlung von 1899 hören wir nun ein Prélude.

Das folgende Morceau de concert pour cor widmete Saint-Saëns Henri Chaussier, dem Solo-Hornisten des Orchestre de la société des concerts du Conservatoire. Bei dieser Komposition mag Saint-Saëns an die untergegangene Pracht des Hofes von Louis XIV gedacht haben.

1873 schrieb Saint-Saëns ein Lied für Gesang und Orchester auf ein Gedicht von Henri Cazalis, die Danse macabre. Ein Jahr später erweiterte er die Komposition zu seiner dritten symphonischen Dichtung. Auch ohne Kenntnis des ursprünglichen Texts ist dem Zuhörer sofort klar, was passiert: Der Tod spielt mit der Fidel zum Tanz auf und die skeletierten Toten folgen ihm so lange, bis der Hahnenschrei den Spuk beendet. Wir hören die Fassung für zwei Klaviere.

Die folgende Romanze für Flöte und Klavier wurde Paul Taffanel uraufgeführt, seinerzeit der bekannteste französische Flötist und später Chefdirigent der Oper in Paris.

Wie bereits eingangs erwähnt war Saint-Saëns auch Opernkomponist. Seine Werke dieses Genres ernteten oft harsche Ablehnung der Kritiker, das Lob einiger Kollegen, immer aber den Zuspruch des Publikums. Für seine 1882 entstandene Oper Henry VIII benutzte Saint-Saëns einige originale englische Melodien der Epoche, in der die Oper spielt. In dem Ausschnitt, den wir hören, beklagt der päpstliche Legat, der Cardinal Campeggio, das Verhalten Heinrich VIII., der sich von seiner Frau Katharina scheiden lassen will, um dessen Hofdame Anna Boleyn zu ehelichen.

An seiner bekanntesten Oper, Samson et Dalila, arbeitete Saint-Saëns mit Unterbrechungen von 1868-1877. Eine Aufführung auf einer französischen Bühne kam lange nicht zu Stande. Erst auf Veranlassung von Franz Liszt wurde die Oper uraufgeführt – und zwar in Weimar. Die französische Premiere fand erst 1890 in Rouen statt, und erst zwei Jahre später war dann auch die Pariser Oper reif für das Werk.

In der folgenden Arie verspottet der Philister Abimélech die Israeliten und ihren Gott. Das sollte er besser nicht tun. Folgerichtig wird er bereits kurz nach dieser Arie tot von der Bühne getragen.

Nach dieser hohen Dramatik etwas Erholung: In der Mazurka, einer von Chopin in die Klavierliteratur eingeführten Form, beweist Saint-Saëns erneut, dass er alle Stile beherrscht. Man kann dies Eklektizismus nennen, oder aber auch einfach den Hut vor seiner handwerklichen Meisterschaft ziehen.

Das Frühjahr 1886 verlief für Saint-Saëns turbulent. Auf einer Konzertreise durch Deutschland, wo er eine zeitlang besser willkommen war, als in Paris, sah er sich plötzlich Anfeindungen ausgesetzt, da er sich gegen die Dominanz und den lähmenden Einfluss des wagnerschen Musikdramas auf die französische Musik gewandt hatte. Erholung suchte und fand er in Prag und Wien. So kommt es, dass eines der bekanntesten Werke, in dem französischer Esprit funkelt, in Österreich das Licht der Welt erblickte. Der Carnaval des animaux war von Anfang nur eine geistreiche Spielerei, die anlässlich eines Faschingskonzerts zu Ehren des Cellisten Charles-Joseph Lebouc 9. März 1886 uraufgeführt wurde. Dies erklärt, warum das bekannteste Stück des Werkes ein Violoncellosolo ist – Le cygne. Es ist dies auch das einzige Stück, das Saint-Saëns zur Publikation freigab. Spätestens als die Ballerina Anna Pawlowa 1905 erstmals zu dieser Melodie ihre Choreographie La Mort du cygne tanzte, war der Siegeszug dieses Stücks um die Welt unaufhaltbar geworden. Saint-Saëns genehmigte lediglich noch zwei Folgeaufführungen 1886, davon eine zu Ehren von Franz Liszt, der – in seinem Todesjahr – ein letztes mal in Paris weilte und von der musikalischen Kuriosität bereits viel gehört hatte. Kurz nach Saint-Saëns’ Tod führte Gabriel Pierné diese grande fantaisie zoologique am 25. Februar 1922 in Paris erstmals wieder öffentlich auf. Der Rest ist Geschichte.

Das Jahr 1875, in dem die folgende Cellokomposition entstand, hatte für Saint-Saëns eine besondere Bedeutung: Zum einen starb unerwartet sein geschätzter Kollege Bizet; zum anderen unterschrieb Saint-Saëns einen Vertrag mit dem Verleger Durand, der sich das Recht auf alle zukünftigen Kompositionen des Meisters sicherte; und schließlich heiratete Saint-Saëns Marie-Laure-Emilie Truffot. Der Ehe war kein Glück beschieden: Am 28 Mai 1878 fiel Saint-Saëns’ ältester Sohn André beim Spielen aus dem 4. Stock der Pariser Wohnung und verstarb. Saint-Saëns’ Frau reiste darauf hin mit Andrés kleinem Bruder Jean-François zu ihren Eltern aufs Land, um Abstand zu gewinnen. Sechs Wochen nach Andrés tragischem Tod verstarb auch noch das zweite Kind an Lungenentzündung.

Das Allegro appassionato für Klavier war für Wettbewerbe im Conservatoire komponiert worden und stellt absichtlich hohe Ansprüche an den Spieler. Aus einem Kernmotiv aus drei Tönen entwickelt Saint-Saëns das ganze Stück. Später orchestrierte er das Werk auch.

Am Schluss dieser an Höhepunkten sicher nicht armen Soirée noch ein wunderbares Finale: Introduction et rondo capriccioso. Wie auch das erste und das dritte Violinkonzert war dieses Werk von Saint-Saëns für den Ausnahmegeiger Pablo de Sarasate komponiert worden. Lassen sie mich Otto Neitzel zitieren, den ersten und bis 1988 letzten deutschen Biographen Saint-Saëns’. Dieser schriebt: das Werk „ist ein sehr pikantes Bravourstück, duftig instrumentirt, das die Entfaltung des ganzen virtuosen Rüstzeuges in anmuthendster Form gestattet, das meistgespielte Violinstück von Saint-Saëns“.

Gunther Braam


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